Als mich mein Schwager fragte ob ich mit ihm auf die Jagd gehen wolle musste ich kurz stutzen.
Mit diesem Thema hatte ich bisher gar nichts zu tun. Als Kriegsdienstverweigerer, oder umgangssprachlich Drückeberger, hatte ich bisher nur an Fasching und am Schießstand auf dem Rummel mit Gewehrten zu tun. Dennoch begann ich mich über den geplanten Ausflug zu informieren. Francois’ bester Freund Paul lebt in einem Reservat im Norden Quebecs. Zu Beginn des Jahres werden dort die Karibu Herden erwartet. Dorthin sollte es gehen. Da ich Natur liebe und mir aufgrund der Lage erhoffte Nordlichter zu sehen, stimmte ich kurzerhand zu.
Nun war es am 21.01.16 dann soweit und ich flog von Frankfurt nach Toronto. Bei Ankunft: -9° Ortstemperatur und sonnig. So kann’s weiter gehen. Francois und ich fuhren am Folgetag los Richtung Norden. Unser Auto war vollgepackt mit Verpflegung, Ersatzkanistern und warmen Klamotten.
Im Ottawa wechselten wir das Fahrzeug. Wir hatten einen riesigen Chevrolet Silverado PickUp mit 4×4 Getriebe gemietet, da die Straßen- und Schneeverhältnisse diese Art von Gefährt erforderten um sicher ankommen zu können.
Die Route führte uns über Val d’Or, Matagami und den Bay James Highway nach Chisasibi, unserem Ziel und dem Haus von Paul. Insgesamt 1.900km einfache Strecke.
Ein unglaubliches Erlebnis war bereits die Fahrt. Verschneite Landschaften, zugefrorene Seen und Wasserfälle, einsamste Straßen, Straßen mit beschilderten Schlaglöchern. Es ist wohl wirtschaftlicher Warnschilder vor großen Schadstellen aufzustellen als der Sache, per Reparatur, Herr werden zu wollen. Schneesturm (wir konnten nur ca. 50km/h fahren, aufgrund schlechter Sicht), LKW-Fahrer, die auch bei immensem Schneetreiben ihre Geschwindigkeit nicht herabsetzten und uns überholten.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man durchaus mit 100km/h auf geschlossener Schneedecke fahren kann ohne sich unsicher zu fühlen.
Doch das Beeindruckendste, ist es für Europäer immer, ist die endlose Weite, die unglaubliche Schönheit und Kraft der Natur. Mein Verständnis für Distanzen hat sich auf dieser Reise radikal verändert. 24Std am Stück Auto zu fahren ist nun nicht mehr eine völlig absurde Idee, sondern kann durchaus sinnvoll, notwendig und sogar amüsant sein.
Es gab tatsächlich Streckenabschnitte von 450km auf denen es die Situation nicht, oder nur sehr schwer, zuließ den Fahrer zu wechseln. Es war dunkel, es schneite stark und es gab keinen Platz zum Anhalten. Parken auf dem Seitensteifen war ebenfalls nicht möglich, da dies aufgrund von 25-Tonnern im Nacken extrem gefährlich ist.
Im Laufe der Fahrt fiel das Thermometer immer weiter ab. -9°, -12°, -17° und einmal dann auch -29°. Auch die Tiere, die wir während unserer Reise und Jagdaktivität sahen waren faszinierend für mein Frankfurter Auge. 3 wilde Luchse überquerten die Straße vor unserem Truck, leider zu schnell für meine Kamera. Welche Anmut diese Katzen im Schnee boten, einfach wunderbar. Schneehasen, die ich bisher nur von den Pisten Österreichs kannte, saßen am Wegesrand und schauten uns erstaunt nach. In der Weißen Landschaft sind diese Nager sehr schwer auszumachen und nur an ihren Bewegungen zu erkennen. Und dann im Morgengrauen unserer Anreise sah ich mein erstes Karibu. 3 davon standen seelenruhig auf der Straße vor uns. Sie machten keine Anstalten die Fahrbahn verlassen zu wollen. Wir warteten geduldig einige Minuten und schließlich verschwanden sie im Wald neben dem Highway. Schöne Tiere, deutlich größer als unsere Rehe, vergleichbar mit einem ausgewachsenem Hirschen. Karibu, das nordamerikanische Rentier.
Der Sonnenaufgang im Norden ist etwas Magisches. Diese tiefen Farben von Blau, Violett und später dann Orange lassen das Herz jubeln. Dieses Spektakel bot sich uns jeden Morgen, da wir vor Sonnenaufgang aktiv waren.
Francois besorgte sein Hunting-Permit im nahegelegenen Ort Radisson und los ging‘s. Gemeinsam mit Paul und seinem Neffen Wesley erlegten wir, in den nächsten Tagen, 3 Karibus. 2 Tiere blieben bei Wesley’s Familie und eines trat mit uns die Rückreise Richtung Süden an. Verstaut und vertäut auf unserer Ladefläche. Es war ja kalt genug, einen Gefrierschrank hatte wir also gratis.
Auch einen Abstecher zur nahe gelegenen Bay James konnten wir unternehmen. Wir wurden mit einem glorreichen Sonnenuntergang über der zugefrorenen Bucht belohnt. Unvergesslich, magisch.
Ich bin zwar jede Nacht aufgestanden um nachzusehen, habe jedoch keine Nordlichter zu sehen bekommen. Doch der Sternenhimmel, der sich mir bot entschädigte größtenteils für das abstinente Polarlicht. Als Stadt nah lebender Mensch, ist diese Sternenanzahl etwas komplett Anderes. Jeder, der schon einmal in einem, nicht von Lichtverschmutzung belasteten, Gebiet gen Himmel schaute kann mir nachfühlen. Die Klarheit, die Vielzahl und die Unendlichkeit rauben einem den Atem.
Die Rückreise nach Ottawa war ebenso spektakulär wie die Hinfahrt. Wir organisierten uns die Abschnitte in denen ein Fahrerwechsel schwierig oder unmöglich war bei Tageslicht zu fahren.
Landschaften, die wir bei der Hinfahrt im Dunkeln durchquerten, konnte ich nun im Sonnenlicht und bei blauem Himmel entdecken. An der Brücke des Ruppert Rivers hielten wir kurz an um den Blick auf die Wasserfälle besser genießen zu können.
Eine Zwischenübernachtung im Motel war nicht möglich, da das Karibu auf der Ladefläche war.
So fuhren wir die ganze Strecke in einem Rutsch durch. Wir machten ausreichende Schlafpausen und tranken den obligatorischen Kaffee bei Tim Hortons und aßen Poutine bei St. Hubert. Schließlich waren wir in Quebec und da gehört ein Besuch dieser beiden Restaurantketten bei jeder Reise dazu.
In Ottawa brachten wir das Tier zum Fleischer, gaben unseren Monster-Truck mit blutiger Ladefläche zurück und entschieden uns dann, den Rest der Strecke zu Francois‘ Haus in London Ontario auch noch hinter uns zu bringen. 7Std mehr oder weniger machte dann auch keinen großen Unterschied mehr. Somit waren wir rund 35 Std am Stück unterwegs, verrückt, aber faszinierend und ein tolles, unvergessliches Erlebnis.
Ich werde diese Reise, wenn sich die Chance bietet, auf jeden Fall wiederholen und dieses Mal werde ich die Nordlichter fest mitbuchen.































